Tadschikistan Religion

Die Republik Tadschikistan ist offiziell säkular. Die Verfassung verspricht eine strikte Trennung von Religion und Staat. Also eine staatlichen Neutralität gegenüber allen in Tadschikistan existierenden Religionen. Die Realität sieht inzwischen jedoch etwas anders aus. Doch alles schön der Reihe nach. In diesem Artikel erfährst du, welche Religionen in Tadschikistan vertreten sind. Zudem was die geschichtlichen Hintergründe zu den einzelnen Glaubensrichtungen im Land sind. Und was mit Religionen während den Zeiten der Sowjetunion und nach der Unabhängigkeit 1991 geschah. Die folgenden Zitate sind aus einer Publikation zu “Religion in Tadschikistan” von Manja Stephan-Emmrich entnommen.

Tadschikistan ist mehrheitlich muslimisch

Die religiöse Landschaft im gegenwärtigen Tadschikistan ist von grosser Diversität geprägt. Der Islam stellt die dominante Mehrheitsreligion. Über 90% der etwa 7 Millionen Einwohner (…) sind sunnitische Muslime (…).” Die meisten von Ihnen sind ethnische Tadschiken oder Usbeken. Nur “etwa 7% der Muslime sind Schiiten. Die grösste Gruppe von ihnen bilden die Ismailiten (…).

verschiedene Christliche Glaubensgemeinschaften

Verschiedene christliche Glaubensgemeinschaften wie die Russisch-Orthodoxen, Protestanten (Lutheraner, Baptisten, Adventisten, Pfingstler) und Katholiken stellen zusammen eine weitere große religiöse Gruppe.” Diesen gehören insbesondere ethnischen Russen und ehemalig-sowjetischen Immigranten wie z.B. Koreanern an. “Zusammen mit (…) den Bahai, Zeugen Jehovas oder Hare Krishna sind die christlichen Gemeinden insbesondere im städtischen Raum präsent.

Die meisten Juden sind inzwischen wieder ausgewandert

Juden kamen im 19. Jahrhundert im Zuge der Sowjetisierung der Region nach Tadschikistan. “Der Bedarf an sowjetischen Fachkräften und Spezialisten für den Aufbau der sozialistischen Sowjetrepublik Tadschikistan ab 1924 und die grossen Säuberungsaktionen unter Stalin (…) in den 1930ern, brachten (…) Juden aus verschiedenen Teilen der Sowjetunion (v.a. aus dem heutigen Usbekistan) ins Land.” Ab den70ern begann eine anhaltende Abwanderung nach Israel, Europa und in die USA. “Heute leben nur noch ca. 500 (…) Juden (…) in Tadschikistan. 2006 wurde die jüdische Synagoge in Duschanbe, die einzige im Land, von der Regierung geschlossen.”

Die Ausbreitung des sunnitischen Islam in Tadschikistan

Als arabische Eroberer im 7. Jh. nach Zentralasien kamen, trafen sie (..) auf Religionen wie Manichäismus, Zoroastrismus, Buddhismus oder nestorianisches Christentum (…). Im 9. Jh., unter den Abbasiden, setzte sich der Islam zur dominanten, mehrheitlichen Religion durch. Eine zentrale Rolle dabei spielten die überwiegend persischsprachigen städtischen Zentren in den sesshaft bäuerlichen Regionen. Unter den Samaniden (819-992), eine persische Dynastie, deren Herrschaftsgebiet Teile des heutigen Tadschikistan an seiner Peripherie miterfasste, bildeten Buchara und auch Samarkand gewaltige überregionale Gravitationszentren urbaner tadschikischer und islamischer Kultur und Bildung.

“(…) Buchara gedieh zum religiösen, kulturellen und künstlerischen Zentrum der östlichen islamischen Welt und beherbergte bedeutende islamische Gelehrte, Literaten und Poeten wie Ibn Sino, al-Buchari und andere. Der große Einfluss Bucharas als politisches und religiöses Zentrum auf die Entwicklung des sunnitischen Islam in Tadschikistan lässt sich an dem hohen Grad an Interaktionen und Mobilitäten im religiösen Bereich (Personal, Wissen, Diskurse, rituelle Praxis) bis in die Gegenwart hinein belegen.

Entstehung von ismailitischer Glaubensgemeinschaften

 “Die samanische Herrschaft in Zentralasien ermöglichte auch die Etablierung ismailitischer Glaubensgemeinschaften. (…) Späteren Verfolgungen unter den türkischen Ghaznaviden (10.-12. Jh.) und Seldschuken (11.-13. Jh.) ausgesetzt, migrierten die zentralasiatischen Ismailiten aus den Ebenen und Städten Transoxaniens in die entlegenen Bergtäler Badachschans. Isoliert von anderen ismailitischen Gemeinschaften etablierten sie dort eigene Rituale und Traditionen, die bis heute Bestand haben.” 

Sufistischer Einfluss auf den Islam in der Region

Ab dem 14. Jh. geriet der Islam in der Region unter den Einfluss des zentralasiatischen Sufismus. Der mystische Spiritualismus, die moralisch-ethischen, philosophischen und sozialen Prinzipien insbesondere der Naqschbandiya, ein Sufi-Orden (tariqa), der sich unter Bahauddin Naqschband (gest. 1389) in Buchara etablierte, prägen bis heute die religiöse Identität, rituelle Praxis und dominierenden Islam-Vorstellungen der sunnitischen Muslime Tadschikistans. Die von sufischen Idealen durchdrungenen sittlich-ethischen Werke persischer Dichter und Poeten wie Saadi, Bedil oder Hofiz sind heute noch fester Bestandteil des Curriculums elementarer religiöser Wissensvermittlung und werden als Referenzrahmen in Freitagspredigten bemüht. Historische Sufi-Persönlichkeiten spielen in der religiösen Alltagspraxis eine wichtige Rolle.

Wallfahrtsstätten und Schreine

Diese Sufi-Persönlichkeiten “(…) werden als Heilige verehrt und mit lokalen Wallfahrtsstätten und Schreinen (ziyoratgoh, mazar) in Beziehung gesetzt. Einer der populärsten Pilgerorte in Tadschikistan ist die nahe Duschanbe gelegene Grabanlage des Naqschbandi-Scheichs Mawlana Ya‘qub Charkhi (gest. 1447). Das enge, klar determinierte und ritualisierte Verhältnis zwischen Sufi -Meister (murshid) und Schüler (murid) sicherte nicht nur die Reproduktion und Distribution mystischen Wissens. Auf seiner Basis konnte sich ein Patronage-System etablieren. Das ermöglichte die Verbindung von spiritueller und politischer Führerschaft: Bis heute stehen v.a. im Süden Tadschikistans viele Dörfer unter dem Einfluss lokal bedeutender Sufi-Familien. Affiliationen mit Sufi-Netzwerken (insbesondere Naqschbandiya und Qadiriya) reichen bis in die politische Sphäre hinein und prägen die islamische Elite des Landes.

Religionen während der Sowjetunion

Während der Sowjetunion hatte es in Tadschikistan Religion schwer. “Mit der sowjetischen Herrschaft wurde‚ Religion‘ und ihre Institutionen aus der öffentlichen Sphäre eliminiert, in den häuslichen Bereich verdrängt und einer Nationalisierung unterzogen. Die bolschewistischen Attacken in der Tadschikischen SSR (gegründet 1924/29) richteten sich vor allem gegen den Islam. Sie umfassten die Abschaffung der Scharia, die Schliessung religiöser Waqf-Stiftungen, Moscheen und Ausbildungsstätten sowie die Liquidierung der hanafitischen und ismailitischen Gelehrtenschaft.

Einführung eines modifizierten kyrillischen Alphabets

Die Einführung eines modifizierten kyrillischen Alphabets 1939/40 schnitt die Muslime Tadschikistans von den geistlichen Entwicklungen der restlichen islamischen Welt ab und förderte die Lokalisierung des Islam (…).

Rückzug in den Untergrund

1943 wurde ein staatlich-kontrolliertes religiöses Selbstverwaltungsorgan für die Muslime Zentralasiens (SADUM) geschaffen, das einen nationalen Ableger in Tadschikistan durch das Qaziyat (Hohes Gericht) erhielt, Vertreter eines „offiziellen“, staatskonformen Islam ausbildete und Kirchen, Moscheen und Synagogen registrierte. Die Exklusivität und Deutungsmacht des SADUM verlagerte alle außerhalb staatlicher Strukturen existierenden religiösen Akteure, Vereinigungen und Praktiken in den Raum der Illegalität. Dort gründeten sich ab den späten 60ern unter sunnitischen Muslimen geheime Zirkel (hujra), in denen die lokale Islamtradition bewahrt, reformorientierte islamische Schriften wie die von Abduh oder Mawdudi rezipiert und der Grundstein für die religiöse Wiedererweckung in der Gorbatschow-Ära gelegt wurden.

Das Aufblühen der Religionen nach der Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit Tadschikistans 1991 verstärkte die in den späten 1980ern einsetzende religiöse Liberalisierung. Dies führte zu einem Moscheebau – und Bildungsboom, der Zunahme an Pilgerreisen nach Mekka (hajj) und Studienaufenthalten junger Muslime in islamischen Ländern. Zusammen mit der missionarischen Tätigkeit ausländischer Akteure (Saudi Arabien, Iran, Türkei) und der steigenden Popularität islamischer Gruppierungen wie die translokal agierende Hizb ut-Tahrir zeugen diese Entwicklungen von der Ausdifferenzierung des religiösen Feldes sowie einem Wettbewerb um normative Deutungen des Islam. Zugleich haben sie ein stärkeres Bewusstsein unter den Muslimen Tadschikistans dafür bewirkt, Teil einer globalen Glaubensgemeinschaft zu sein.

Aga Khan IV aus dem Kanton Genf

Das gilt insbesondere für die tadschikischen Ismailiten. Nach der mehr als 70 Jahre währenden kulturellen und spirituellen Isolation vor allem durch die sowjetische Nationalitäten- und Religionspolitik fand 1995 der erste Besuch des amtierenden Aga Khan IV in Tadschikistan statt. Das unter seiner Leitung weltweit agierende sozio-ökonomische und religiöse Entwicklungsnetzwerk (Aga Khan Development Network, AKDN) trägt maßgeblich zur Einbindung der Ismailiten Tadschikistans in die globale Glaubensgemeinschaft bei.

Ich habe im Wachantal persönlich das erste Mal von der Glaubensgemeinschaft der Ismailiten erfahren. Als bekannt wurde, dass ich aus der Schweiz komme war ein Gasthauseigentümer sehr erfreut. Sofort zeigte er mir das Bild von Aga Khan. Er erzählte mir, dieser komme auch aus der Schweiz und sei ein sehr guter Man. Für diesen Mann habe viel Respekt, der tue viel Gutes. Mir war jedoch weiterhin ein Rätsel wie in Tadschikistan Religion mit einem Mann aus der Schweiz im Zusammenhang stehen könnte.

Tadschikistan ist offiziell säkular

Das Verhältnis zwischen Staat und Religion ist in Tadschikistan stark ambivalent. Laut Verfassung gründet Tadschikistan auf einer säkularen Staatlichkeit (…). Grundlage bildet ein 1994 erlassenes Religionsgesetz, das in den Folgejahren mehrfach überarbeitet wurde und einen zunehmenden staatlichen Autoritarismus sowie die Abkehr von einem einst proklamierten religiösen Pluralismus erkennen lässt. Die restriktive Religionspolitik der amtierenden Regierung unter Emomali Rahmon richtet sich primär gegen islamische Organisationen (Moscheen, Medresen, Parteien), aber auch gegen missionierende christliche Bewegungen (z.B. Pfingstler, Baptisten oder die zu Sowjetzeiten verbotene charismatische Kirche), die seit der Unabhängigkeit zu einer steigenden Zahl an Konversionen unter Muslimen insbesondere in den städtischen Zentren geführt haben.

Autoritäre Politik gegenüber Religion in Tadschikistan

Die gegenwärtige Religionspolitik in Tadschikistan wurzelt in alten sowjetischen Ressentiments gegenüber Religion (Islam), in der gefühlten Bedrohung durch eine Politisierung des Islams im nationalen wie internationalen Kontext und ermöglicht de facto eine staatliche Kontrolle der Religionsausübung im öffentlichen und privaten Bereich. Ihr ausführendes Organ, die staatliche Religionsbehörde (kumita-i dini, Komitee für religiöse Angelegenheiten) ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Im gleichen Atemzug zeugt die Islamisierung der politischen Sphäre etwa durch die Pilgerfahrt des Präsidenten Rahmon nach Mekka 1997 oder die pompösen Feierlichkeiten 2007 zu Ehren von Abu Hanifa, dem Begründer der hanafitischen Rechtsschule, vom Versuch, tadschikischen Nationalismus und islamisches Erbe in Einklang zu bringen und in der islamischen Welt anschlussfähig zu werden.

Die Islamische Wiedergeburtspartei Tadschikistan

 “Tadschikistan ist das einzige muslimische Land im ehemals sowjetischen Zentralasien mit einer legal arbeitenden islamischen Partei, die Islamische Wiedergeburtspartei Tadschikistan (Hizb-i Nahzat-i Islomii Tojikistan, IWPT). 1990/91 aus einem informellen Netzwerk reformorientierter und teilweise regimekritischer Muslime gegründet, positionierten sich Mitglieder der Partei im Bürgerkrieg zwischen 1992 –  97 als tragender Teil der Oppositionskoalition gegen die amtierende kommunistische Regierung. In der Folge wird die Partei 1993 verboten. 1997 erfolgt die Rehabilitation als legale politische Partei. Heute ist die IWPT mit ihren ca. 22.000 und vorwiegend jungen Mitgliedern die einzige glaubwürdige Oppositionspartei im Land. Trotz ihrer betont moderaten islamischen Agenda, die im Einklang mit den säkularen Koordinaten der Verfassung steht und pro-demokratische und nationalistische Bekenntnisse formuliert, wird die IWPT in ihrer Tätigkeit massiv von der amtierenden Regierung behindert.

Das Islam-Zentrum und das Konzil der Gelehrten

Das Qaziyat (Oberstes Gericht) als höchstes offizielles islamisches Gremium im Land wurde 1996 durch ein Konzil der Gelehrten (shuro-i ulamo) ersetzt, welches zugleich das Islam-Zentrum (markaz-i islomi) bildet (…). De jure unabhängig, fungiert das in der Bevölkerung nur wenig populäre Gremium de facto als ein staatliches Kontrollorgan zur Regulierung der heterogenen islamischen Gelehrtenschaft. Dem Islam-Zentrum angegliedert ist die zentrale Freitagsmoschee in Duschanbe sowie die Islam-Universität Imom Termizi, die einzige Institution höherer islamischer Bildung in Tadschikistan, die 1997 als private Bildungseinrichtung registriert wurde, seit 2010 aber als staatliche Bildungsinstitution dem Ministerium für Bildung zugeordnet ist.

Danksagung

Der Text dieses Artikels besteht aus Auszügen der Publikation zu “Religion in Tadschikistan” von Manja Stephan-Emmrich erschienen im Handbuch der Religionen der Welt, 2012 herausgegeben von Prof. Dr. Markus Porsche-Ludwig, Universität Hualien (Taiwan) und Prof. Dr. Jürgen Bellers, Universität Siegen.

Diesen Aritkel teilen, weiterempfehlen oder versenden

This article was written by Dominique

Als Reise Coach ist Dominique leidenschaftlich dabei, das Know-How rund um das langsame Reisen für alle Reisebegeisterte frei zugänglich zu machen. Er sieht faires und klimaverträgliches Reisen als Beitrag zum Frieden. Jede und jeder soll langsam und achtsam reisen lernen können – kostenfrei und unkompliziert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich stimme der Datenschutzerklärung zu

Translate

Tadschikistan Religion

Warning: Undefined array key "sfsi_mastodonIcon_order" in /home/httpd/vhosts/uplenk.ch/httpdocs/slowtraveltoasia.ch/currentversion/wp-content/plugins/ultimate-social-media-icons/libs/controllers/sfsi_frontpopUp.php on line 175 Warning: Undefined array key "sfsi_mastodon_display" in /home/httpd/vhosts/uplenk.ch/httpdocs/slowtraveltoasia.ch/currentversion/wp-content/plugins/ultimate-social-media-icons/libs/controllers/sfsi_frontpopUp.php on line 268
error

Gefällt dir dieser Artikel? Dann gerne teilen :-)