Die ersten Tage in Baku

Am späten Nachmittag zog ich los, um Baku zu erkunden. Zuerst kaufte ich mir eine lokale SIM von Azercell. Als ich online war, sah ich, dass mir in der Zwischenzeit ein weiterer Couchsurfing Host geschrieben hatte. Er wies mich auf eine kostenlose Filmvorführung hin und schickte mir einen weiteren Hinweis. In einer Bar sei heute Abend eine Jam-Session. Nach einem Abendessen in einem türkischen Restaurant, suchte ich die Jam Session Bar namens Arteground Baku auf.

Eine Azerbeijanerin aus Nakhchivan

Dort machte ich Bekanntschaft mit zwei Aserbaidschanerinnen. Die eine sprach gut English. Sie sei in der Stadt Nakhchivan aufgewachsen. Seit dem Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien ist diese Stadt und ein grosses umliegendes Stück Land, von Aserbaidschan abgeschnitten. Um in ihre Heimatstadt zu reisen, muss sie den Umweg über Iran machen. Die live Musik in der Bar war schön und die Stimmung entspannt. Lange vor elf Uhr versabschiedeten sich die zwei Damen wieder. Ich blieb bis die Musiker ihre Instrumente zusammen packten.

Besuch der Altstadt

Die Innenstadt mit vielen Flanierzonen mit Sitzbänken, lud mich erneut zum Verweilen ein. Die Strassen waren alle neu und sauber. Zwischen all den Porsche Cayenne, Mercedes und Audis fühlte ich mich zeitweise fast in Zürich. Die Randsteine der Gehsteige waren durchgehend beinahe so hoch, wie an den hindernisfrei sanierten Zürcher Tramhaltestellen. Die Trottoirs allerdings wurden scheinbar vergessen. Vielleicht sind diese in der Verantwortung der Gebäudeeigentümer? Jedenfalls wechselte das Niveau hinter den hohen Randsteinen dauernd und war selten gleich hoch wie die Randsteine. Unachtsame Fussgänger, die sich in Sicherheit wähnen, könnten hier böse stolpern. In der Altstadt war alles sauber mit Pflastersteinen ausgelegt.

Am Strassenrand sah ich zwei Männer ein Brettspiel spielen. Ich fragte sie mit der Translator app, wie das Spiel heisst. Oyunun adı nədir? Sie sagten sowas wie „tscheschbesch nard“. Später besuchte ich das Stadtmuseum. Es zeigte nebst den üblichen Tontöpfen, Kleider und Instrumenten auch eine moderne Kunstausstellung. Vor dem Museum war ein Stück schreckliche Geschichte sichtbar. In der Mauer waren noch die Schusslöcher einer Exekution zu sehen. Ich freute mich über die Granatäpfel im Hof und schlenderte dann durch die schmalen Gassen der Altstadt zum berühmten Maiden Turm, während ich mit einer Freundin telefonierte.

Ein Bier in der “Crazzy Bear” Bar

Das Wandposter in der Bar Crazzy Bear.

Am Abend traf ich in der Bierbar Crazzy Bear meinen Couchsurfing Kontakt. Er hatte noch einige andere Couchsurfer eingeladen. Es stellte sich heraus, dass wir an einer Internations Veransaltung waren. Auf der Bühne stand eine Sängerin, die Playback Lieder bei zu hohem Volumen wiedergab. Die Internations Organisatorin wünschte sich, dass alle mittanzen. Die Musik reizte uns jedoch überhaupt nicht dazu.

Ein Club mit kostenlosem Buffet – ROOM

Kurz nach Mitternacht wollte mir mein Kontakt noch den Club ROOM zeigen. Dort gebe es immer montags und mittwochs ein kostenloses Buffet. Der Club war ziemlich voll. Am Buffet gab es noch die kalten Resten eines einst grosszügigen Buffets. Für einen Mitternachtssnack war es gerade recht. Die Stimmung im Club war nicht sehr ausgelassen, die Musik mässig. Ich unterhielt mich kurz mit einem jungen Mann, welcher bei einer Ölfirma arbeitete. Er beschwerte sich, dass man auf Tinder nur Escortdamen finde. Dann zeigte er auf drei Damen im Club, welche ebenfalls Escortdamen seien. Als ich mein Bier leer hatte, verabschiedete ich mich und spazierte zurück ins Hostel.

Das Nachtleben von Baku, hier vor dem Club ROOM.

Ein Zuhause in Baku

Ich hatte mit meinem Kontakt abgemacht, die nächste Zeit bei ihm zu übernachten. Er bat mich vor elf Uhr bei ihm aufzutauchen. Ich machte mich also früh auf den Weg. Meine Wanderschuhe hatte ich aussen an meinen Rucksack gebunden. Als ich aus der Metro ausstieg, stellte ich fest, dass ich einen Wanderschuh verloren hatte. Es würde mir ja wohl kaum jemand in der Metro einen Schuh gestohlen haben. Ich fuhr den ganzen Weg zurück und versuchte mich zu erinnern, wo ich wohl genau entlang gelaufen war. Mein Blick schweifte fortlaufend hin und her. Zwischen zwei geparkten Autos gegenüber der Metrostation fand ich schliesslich meinen Wanderschuh wieder. Nun war ich sehr erleichtert. Der Couchsurfing Kontakt empfing mich mit einem Schmunzeln und zeigte mir dann wo ich schlafen dürfe.

Von der Miete leben

Das Zimmer und das Wohnzimmer waren voll mit alten Büchern von seinem Vater. Dieser sei Professor für Metallurgie gewesen. Rovshan wohnt in einem Haus mit seinem Bruder. Auf dem gleichen Grundstück befinden sich noch ein weiteres kleines und ein grosses Haus. Beide sehen noch nicht ganz fertig gebaut aus. Er sei „Landlord“ und vermiete kleine Wohnungen an Familien und Einzelpersonen. Er zählte kurz nach. Dann sagte er: “Es wohnen knapp 40 Personen auf seinem Grundstück.” Sein Vater habe mit dem Bau des zweiten Hauses angefangen und jedes Jahr eine Wohnung dazu gebaut. Er sei nun daran diese zu renovieren. Von der Miete könne er gerade leben. Später wolle er dann noch ein weiteres Stockwerk bauen.

Baku ist nicht gleich Baku

Am Nachmittag half ich ihm beim Aufräumen einer kleinen Renovationsbaustelle. Zudem wischten wir den Strassenrand entlang seines Grundstücks. Es kam eine ganze Schubkarre voll Abfall und Dreck zusammen. In diesem Stadtteil sah es definitiv nicht mehr so aus wie in Zürich. Die Strasse war löchrig und dreckig. Dank seiner Einladung hatte ich nun ein realistischeres Bild von Baku und dem Leben der Menschen hier. Darüber war ich froh.

Zu Gast bei zwei Brüdern

Auf der Terrasse bei Rovshan und seinem Bruder zuhause.

Beim Frühstück lernte ich Rovshan etwas besser kennen. Sein jüngerer Bruder allerdings grüsste mich kaum und verkroch sich immer in seinem Zimmer. Rovshan entschuldigte sich dafür. Vielleicht müsse er bald mit Couchsurfing aufhören. Sein Bruder möge es nicht, dass er immer Gäste habe. Rovshan jedoch genoss die Gemeinschaft offenbar. Während meines Aufenthalts bot er weiteren 5 Gästen seine Gastfreundschaft an. Nicht alle jedoch nahmen seine Einladung an. Nach Besichtigung der einfachen Räumlichkeiten, verabschiedete sich zum Beispiel ein Paar, das mit dem Motorrad unterwegs war.

Ein politisch aktiver Gastgeber

Aserbaidschan ist, wie es mein Gastgeber nennt eine Präsidialdiktatur. Er selber war lange Mitglied der Oppositionspartei. Inzwischen sei er aber ausgetreten. Die Personen an der Spitze der Oppositionspartei seien auch korrupt und würden nicht mehr echte Opposition machen wollen. Eine international bekannte Anekdote ist der Eurovision Song Contest ESC. Dieser wurde 2011 in Baku ausgetragen. Dafür war in Baku extra ein Stadion gebaut worden. Als der Song des Nachbarlandes Armenien an der Reihe war, wurde er im aserbaidschanischen Staatsfernsehen stumm geschaltet. Aus Protest gab Rovshan seine Stimme Armenien. Einige Monate später wurde er dafür festgenommen. In ganz Aserbaidschan stimmten 43 Personen für Armenien. Diese beiden Reportagen von BBC und Radio Liberty zeigen Rovshan bei Interviews zu diesem Vorfall.

Die Reportage mit Rovshan von BBC zum Vorfall in Aserbaidschan nach dem Eurovision Song Contest 2011.

Eine unfertige Bücher-Tauschecke

Rovshan hat viele Bücher von seinem Vater, die er eigentlich mal loswerden möchte. In der Mauer an der Strasse gibt es eine etwas zurück versetzte Nische. Dort könnte man einen Büchertausch einrichten. Dies schlug ich Rovshan eher im Spass vor. Er nahm es jedoch ernst. Ich dürfe gerne damit loslegen. Bald war ich mit Zement mischen und Backsteinen tragen beschäftigt. Dann holte ich ein noch intaktes Fenster aus seinem Schrottlager. Der Tag ging allerdings zu Ende, bevor das Projekt beendet war. Schliesslich fehlte es an den nötigen Schrauben und Dübeln. Vielleicht steht der Fensterrahmen immer noch in der Nische.

Rovshan neben der unfertigen Bücher-Tauschecke am Strassenrand neben seinem Grundstück.

Pup Crowl mit Rovshan, einem Saudi und einer Iranerin

Am Abend machten wir uns bereit fürs Stadtzentrum. Während ich bereits in die Jam-Session Bar ging, wartete Rovshan noch auf eine Couchsurferin aus Iran. Im Artground Baku traf ich wieder die Azerbeijanerin aus der Stadt Nakhchivan an. Diesmal mit ihrer Arbeitskollegin, deren Freund und dessen Kumpel. Heute war die Musik etwas gewöhnungsbedürftiger und weniger fetzig. Darum verabschiedete sich das Trüppchen bald wieder. Als Rovshan und die iranische Soodeh eintrafen, waren die anderen bereits wieder weg. An diesem Abend entpuppte sich Rovshan als ausgezeichneter Bar Kenner. Wir zogen weiter ins Phoenix und Finnegans. Unterwegs trafen wir den Saudi. Im Finnegans spielte eine Hardrock Band. Zum Schluss wollte Rovshan noch ins Irish Pub und der Saudi insistierte darauf, uns noch zwei Runden Bier zu spendieren. Für den Heimweg bestellte uns Rovshan ein Yandex-Taxi. 

Diesen Aritkel teilen, weiterempfehlen oder versenden

Schreibe einen Kommentar

You have to agree to the comment policy.

Ich stimme der Datenschutzerklärung zu

Translate

Die ersten Tage in Baku

error

Gefällt dir dieser Artikel? Dann gerne teilen :-)